Mittwoch, 14. Juli 2010

Betrugsversuch unmöglich

Ich komme grad aus der seltsamsten... ich mag es gar nicht "Klausur" zu nennen... ähm... "Sitzung zur Niederschrift infolgedessen eine Note vergeben wird" aller Zeiten.

Vielleicht zuerst ein paar Worte vorweg. Einer der ersten Sätze des Dozenten damals war:
"Ich gehöre zur 68er Generation, ich habe für die Abschaffung der Anwesenheitspflicht gekämpft. Ich werde sie sicher nicht hier wieder einführen."
Der Mann war seltsam, aber sympathisch.
"Ich habe meine eigene Methode, diese zu erreichen. Ich habe kein Manuskript, Sie müssen also mitschreiben. Dafür müssen Sie hier sein." So viel zur Theorie.

Er war dazu abgestellt, einer Horde Informatikstudenten in einer Zeit von Stasi-Schäuble und Zensursula die Grundlagen des Datenschutzrechts näherzubringen. Seine Vorlesungen waren immer gleich. Die erste Hälfte einer jeden Veranstaltung wiederholte nahezu wortwörtlich den Teil vom letzten oder gar vorletzten Mal. Das entsprach bei seiner doch ziemlich gedrosselten Sprachgeschwindigkeit je nach Tagesform zwischen 4 und 10 Stichpunkten, die sich dann in der Regel zwischen 2 und 4x in einer jeder Mitschrift wiederholten. Nach 5 Veranstaltungen machte er dann mal für einen Monat Pause und verbrachte dann die folgende Vorlesung mit umso mehr Wiederholungen. Die Woche darauf war die letzte vor der Klausur. Die Wiederholung umfasste den kompletten Stoff der bisherigen Reihe. Also, wer bei dieser Veranstaltung irgendwas nicht mitbekam, war selber Schuld. Nun gut, ich habe nicht mitgeschrieben, angesichts der vielen Mittipper und Mit-TeX-er. Und da die Hälfte zu Vorlesungsbeginn demonstrativ mit entsprechenden Stasi-Schäuble-TShirts und ähnlichen auftauchten, war die Chance groß, dass auch alle zu OpenAccess standen. Und so konnte ich einen Hefter kopieren und zwei digitale Mitschriften aus meinem Postfach sammeln. Schließlich durften wir die Unterlagen in der Klausur verwenden.

Das habe ich schon einmal gehabt. Dann war die Klausur so lang und schwer und voller Anwendungsfragen, dass man gar keine Zeit hatte, das Skript und die Bücher ständig zu durchwühlen. Das hatte 85% Durchfaller zur Folge. Ich war also misstrauisch. Außerdem kursierte ein Gerücht, man dürfe auch Laptops nutzen. Das hielt ich für verdammt unwahrscheinlich, habe meinen aber vorsichtshalber eingepackt. Gelernt hatte ich natürlich nichts, das ließ das Fach nicht zu. Ein paar Erklärungen zu ein paar Paragraphen aus dem Bundesdatenschutzgesetz sowie einige historische Abrisse. Mehr war nicht zu finden in den Mitschriften.

Ich also vorhin hin. Nach mir kam einer rein, der schnurstraks zur Tafel schritt und einen Link anschrieb. Es handelte sich um eine Seite, bei der man gemeinsam ein Dokument erstellen kann. Einfach drauf gehen und im Werk rumpfuschen. Die Grundlage zur Erstellung einer Musterlösung. Nein, so dumm kann der Dozent gar nicht sein. Laptops zulassen bei einer Horde Informatiker. Der Raum wurde immer voller, jeder Platz (nicht jeder zweite!) war besetzt und es strömten noch mehr ein. Es wurde ein zweiter Raum eröffnet. Zwei Räume, eine Aufsichtsperson. Klar, das läuft bestimmt total fair ab. Dann teilte er die Arbeiten aus:
"Ihr habt zwei Stunden Zeit."
Es waren 3 Seiten mit insgesamt 6 Fragen, die teilweise mit 3 Stichworten beantwortet werden konnten. Und dann fasste ich mir ein Herz und sprach ihn auf die Nutzung von Technik an. Er winkte ab und meinte, es sei alles erlaubt. Oookaaaay....

Der Link wurde aufgerufen, die ersten beiden Lösungen standen schon online. Ich klinkte mich mit ein. Als ich nach sieben Minuten mit der ersten Seite fertig war, gab der erste schon fertig ab - so viel zum prinzipiellen Schwierigkeitsgrad. Ich brauchte auch nur so lange, weil ich nebenbei beschäftigt war mit 5 anderen Leuten zu diskutieren, ob die Lösung tatsächlich formaljuristisch korrekt war, bis wir uns auf die Originalkopie aus einem Gesetzestext verständigten inklusive Wikipedia-Erklärung. Anstatt 3 Stichpunkte, 4 Sätze. Juristen mögen möglichst korrekte Ausdrucksweisen.

Das Ganze artete zu einer Farce aus. Unglaublich. Natürlich pendelte der Dozent auch noch zwischen den zwei Räumen, sodass auch Abschreiben und Beratschlagen kein Problem war. Mit dem Internet und dem Pad-System mit der gemeinsam erarbeiteten und durch lauter Quellen belegten Musterlösung vor der Nase war das ein Kinderspiel. Betrügen war quasi unmöglich - es war ja alles erlaubt.

Die auf zwei Stunden ausgelegte Klausur beendete ich als einer der letzten nach 30 Minuten.


Sollte hier nicht der Kursdurchschnitt bei 1,0 liegen wird er 5,0 sein, da alle die Aufgaben falsch verstanden haben. Was anderes würde mich echt wundern. Aber im Ernst: Ich halte den Mann weder für blöd noch für naiv. Ich kann mir nur keinen Reim darauf machen, was er sich dabei dachte, uns derartige Freiheiten zu gestatten. Mit realen Klausurbedingungen hatte diese Gruppenarbeit rein gar nichts gemein.

Achso, ohne Internet wäre ich im Übrigen aufgeschmissen gewesen. Die Fragen waren zwar, wenn man die Lösungen kennt, sehr einfach - wie der ganze wenige Stoff im Allgemeinen, aber so dämlich formuliert, wie es nur Juristen können. Ich wäre sicher durchgefallen, trotz Mitschriften. Nun bin ich sehr gespannt auf das Ergebnis.

Keine Kommentare: