Samstag, 8. November 2008

Meeresgeologie für alle!

Puuh, endlich geschafft.

Dieser Aussage könnte durchaus etwas negatives anbehaftet sein. Unter anderen Umständen sicher, doch hier kommt sie nur deshalb zustande, weil nun ein knapp 1000seitiger Wälzer in winzigster Schriftgröße hinter mir liegt. Ein Wälzer vollgepumpt mit Informationen.

Frank Schätzings "Der Schwarm" ist ein Buch, welches mir von vielerlei Seiten empfohlen wurde und so kam ich wieder einmal nicht umhin, einen Mainstream-Wälzer anzupacken. Doch erstaunt bin ich jetzt, dass es tatsächlich in den Mainstream gehört. Möchte man doch meinen, der Mainstream heutzutage hört bei Dieter Bohlen, Bild und Roches "Feuchtgebiete" auf - sinnentleerenden, flachen und keineswegs wortgewandten Themen, bei der man gut drei Viertel des Hirnes einfach wegschmeißen könnte.
Wie Der Schwarm es in den Mainstream und auf Bestsellerlisten geschafft hat, bei solcher Konkurrenz, ist mir schleierhaft. Die Informationsfülle aus diversen wissenschaftlichen Fachgebieten, philosophischen Diskussionen aus Theologie und Esoterik kann doch ein heutiger Durchschnitts-Talkshow-Zuschauer gar nicht verarbeiten.

Selten habe ich für ein Buch so viel Zeit benötigt, obwohl ich doch konsequent in meinen freien Minuten in der S-Bahn oder Uni, auf Arbeit oder schlicht zuhause daran gelesen hatte. Anfangs skeptisch, später doch gut unterhalten fand ich schnell Gefallen daran. Ich glaube nicht, jemals eines von solchem Kaliber in der Hand gehalten zu haben. Schätzing scheint liebevoll zu den Themen, die er beschreibt, recherchiert zu haben. Ob nun alles vollkommen wissenschaftlich korrekt ist, sei dahin gestellt, aber immerhin stößt ein interessierter Leser schnell auf Dinge und Anhaltspunkte, die ihn selbst zur weiteren Recherche des Themas verleiten kann.
Das Werk wird als Ökothriller tituliert. Schnell wird klar, dass der Autor die Verhaltensweisen der Menschen gegenüber ihrer Umwelt, insbesondere den Meeren, kritisiert und angreift. Fragen nach Sinnhaftigkeiten von Whale Watching werden im ersten Teil des Buches genauso ausführlich diskutiert, wie die Funktionsweise von Offshore-Anlagen, die daraus resultierenden Probleme, sowie die dagegenhaltenden kapitalistischen Interessen der Ölindustrie von Norwegen beleuchtet wird. Schätzing greift die wunden Punkte der menschlichen Intoleranz und Ignoranz gegenüber der Natur heraus und vereint sie schnell zu einem komplexen Supergau des Planeten. Die Menschheit richtet sich selbst zugrunde.

Alles schon gehört und alles schon gesehen. Theorien über den Stillstand des Golfstroms nach dem Schmelzen der Polkappen oder Abrutschungen von Kontinentalhängen und den dadurch entstehenden Tsunamis gibt es zur Genüge. Der Schwarm benutzt so ziemlich alle dieser Szenarien und so nimmt die Story nach und nach seinen wirklichen Anfang. Klingt also im ersten Augenblick nach einer ziemlich abgedroschenen Sache. Doch Schätzing hat es geschafft, diese Phänomene ausführlich und wortgewandt zu erklären, in zwischenmenschliche Beziehungen einzuflechten, mehreren Charakteren Gestalt zu verleihen und alles nicht kitschig klingen zu lassen.
Und dies könnte der Grund für die vielen unterschiedlichen Kritiken sein. Für viele Leser dürften die seitenlangen Abhandlungen über die Destabilisierung von Methanhydrat oder den Ausflügen in die Verhaltensforschung von Säugetieren anstrengend und damit langatmig geworden sein. Ich gehöre jedoch zu den Menschen, der diesen Teilen ausgesprochen wohlgesonnen ist. Diese Abhandlungen - wie exakt oder realistisch sie nun tatsächlich sind, ist in diesem Fall sekundär - machen das Buch zu einem ausgesprochen gelungenen Werk. Man bekommt Einblicke in verschiedenste Fachbereiche bis hin zur Geschichte verschiedener Inuit-Stämme in Kanada. Die Danksagungen am Ende des Buches belegen zumindest, dass sich der Autor schon seine Gedanken gemacht haben muss und sich mit diversen Wissenschaftlern zu Zwecken der Recherche getroffen hat. Dass nicht alles perfekt ist - ein Kritiker im Internet erwähnte beispielsweise, dass es in der US Navy keine Generäle gäbe - sollte klar sein, es ist nichtsdestotrotz lediglich Belletristik. Auch die Wikipedia nimmt man nicht stets für bare Münze. Aber Anregungen zum Weiterbilden gibt sie allemal.

Auch als im weiteren Verlauf der Story nun die nichtmenschliche intelligente Spezies auftauchte, die für alle beschriebenen Horrorszenarien verantwortlich sein sollte, wurde das Buch nicht weniger interessant. So mussten sich nun die Wissenschaftler und Protagonisten, die zur Rettung der Menschheit aus aller Herren Länder zusammengesammelt wurden, den Problemen der Kommunikation und der nichtmenschlichen Ethik stellen.
Schätzing vergisst jedoch niemals zwischen all den Betrachtungen und Monologen oder den vielen Showdowns und Katastrophen, die Geschichte fortschreiten zu lassen und die vielen Charaktere immer weiter auszufeilen.

Im Großen und Ganzen war es mal wieder ein wirklich gelungenes Buch. Die einzigen negativen Sachen, die das Werk meiner Meinung nach abschwächen, sind die Tatsachen, dass man schon merkt, wie viel doch von vornherein auf Hollywood ausgelegt ist. So sind die führende Nation natürlich die Vereinigten Staaten - von allen Nationen, die erwähnt werden, liest man nichts von Russland, China oder dem Nahen Osten. Es gibt filmreife Liebesbeziehungen und natürlich darf auch der obligatorische Bösewicht, der alle sabotieren will, nicht fehlen. Hier nähert sich Der Schwarm wieder dem Mainstream an, dem er am Ende auch zugeordnet worden ist. Der Film ist tatsächlich bereits in Planung, wobei ich mir allerdings noch keinen Reim darauf machen kann, wie man diesen Stoff wirklich gut verfilmen kann - schon gar nicht bei knapp 1000 kleinbedruckten Seiten. Das hat bei Herr der Ringe schon nicht geklappt - wo mindestens ebenso viel erklärt werden musste, damit man Mittelerde verstehen konnte - genau wie Schätzing versucht, die Vorgänge der Erde zu lehren. Mal schauen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Fantastische Zusammenfassung. Geh ich voll mit. Kann man die irgendwo abdrucken?

S-Man hat gesagt…

Wo willste die denn abdrucken? Prinzipiell hab ich nix dagegen...