Letzte Woche Montag traf ich mich mit TS auf ein Eis und unwillkürlich lenkte sich unser Gespräch auf das Datenschützer-Thema #1 derzeit: Zensus 2011.
Worum ging es? Äpfel? Bahnhöfe? Nein:
Der Zensus 2011 ist die erste gemeinsame Volkszählung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Erhebungsstichtag ist Montag, 9. Mai 2011 (Europatag), bzw. in einzelnen Fällen die Erhebungswoche vom Montag, 9. bis Sonntag, 15. Mai 2011.
Bisher haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Eigenregie Volkszählungen durchgeführt, die aufgrund unterschiedlicher Fragenkataloge nur schwer miteinander vergleichbar sind. Auch die unterschiedlichen Erhebungsstichtage bzw. -zeiträume weichen erheblich voneinander ab. So fand zum Beispiel die letzte Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland 1987 und in der ehemaligen DDR 1981 statt. 2000/2001 waren Deutschland und Schweden die einzigen Staaten innerhalb der EU, die nicht am europaweiten Zensus teilnahmen.
Durch die gemeinsame Volkszählung sollen verschiedene von Eurostat genutzte Daten eine gemeinsame Grundlage bekommen. Dies ist für verschiedene Politikbereiche der Europäischen Union notwendig. Besonders deutlich ist dies etwa an der Zuteilung von finanziellen Mitteln aus den EU-Strukturfonds zu erkennen, die wesentlich von der Demografie einer Region abhängig sind. Auch für das Stimmgewicht eines Landes im Ministerrat spielt die Einwohnerzahl eine wichtige Rolle, sodass zuverlässige und vergleichbare Daten notwendig sind.
[de.wikipedia.org, Stand: 24.05.2011]
So weit zur Theorie. Was ist nun mein persönliches Problem? Wie auf der Seite zensus11.de vom AK Vorratsdatenspeicherung gut zusammengefasst wird, gibt es etlige Datenschutzprobleme. Es werden Daten aus verschiedensten, mit gutem Grund sonst voneinander getrennten, Datenbanken zusammengeführt, es werden Millionen Menschen unter Androhung hoher Geldstrafen gezwungen, sensibelste Angaben zur ihrem Leben machen. Das schließt auch die Frage nach der Religion ein. Auch wenn gesagt wird, dass all das nur anonym geschieht, werden die gesammelten und erhobenen Daten bis zu sechs Jahre personalisiert bleiben. Und mal von verschiedensten Datenskandalen bis hin zu den höchsten Instanzen abgesehen, kann ja dann doch mal der Überwachungsstaat auf die Idee kommen: Na wenn wir die Daten jetzt schon mal haben, ... Klingt komisch, ist aber nicht abwegig. Man bedenke die KiPo-Internetsperren-Geschichte! Weitere Beispiele kann man googlen.
Nun trifft diese Befragung nur 10% aller Nichtimmobilienbesitzer, angeblich in Ballungsräumen wie Großstädten auch nur knapp 3%, da die Lebenssituationen in den einzelnen Vierteln einander ziemlich ähneln. Im Gegensatz zu den ländlicheren Regionen. Gut, also nimmt man mal für sich das beste an. Letzte Woche habe ich noch gewitzelt.
Dann kam ich am Abend nach Hause und fand im Briefkasten eine nette Mitteilung, dass ich unter den Auserwählten sei und dass am 25. Mai eine nette Befragerin vor meiner Tür stehe werde. Mist. Nun ja, da triffst ja genau den Richtigen *grml*
Tja, sofort war klar: Politischer Protest! Wie anstellen? Klar, komplett nicht ausfüllen und Ordnungswidrigkeit begehen wäre eine Möglichkeit. Ich gebe zu, so hart bin ich nicht. Was gibt es an anderen Möglichkeiten?
Erst einmal über meine Rechte informieren und die Abläufe:
Also es sollte eine Befragerin kommen. Diese sind Freiwillige und verpflichtete Freiwillige. Auf jeden Fall also keine sonderlich geschulten Instanzen. Das heißt, mich befragt irgendeine X-beliebige Person. Und die bekommt Geld für jeden ausgefüllten Fragebogen, den sie abliefert. Das heißt aber, dass für eine bestimmte Zeit mein ausgefüllter Fragebogen ungesichert irgendwo bei einer wildfremden Privatperson rumliegt. In dem Fragebogen (hier einsehbar) stehen sämtliche sensible Daten, die es über mich gibt: Name, Geburtstag, Religion, indirekt auch sexuelle Vorlieben (ob ich einer Homoehe angehöre ist nämliche eine Frage), Beruf, Schulabschluss. Kommt also nicht in Frage. Was sind die anderen Möglichkeiten? Ich kann das ganze Online abwickeln. Doch schnell fand jemand heraus, dass die Datenübertragung unter Umständen ungesichert ablaufen kann:
Aus aktuellem Anlass (die Fragebögen sollen bald raus und jemand der einen bekommen soll hat mich kontaktiert) habe ich mir den Zensus-Kram nochmal angeschaut und mir ist eine Sache aufgefallen: Laut dem Musterfragebogen zur Haushaltsbefragung: werden die Leute, die den Fragebogen online ausfüllen wollen, auf „www.zensus2011.de“ geleitet – sollen die Seite also per unverschlüsseltem HTTP aufrufen. Das ist unsicher, und ob danach sofort eine Umleitung auf HTTPS erfolgt, ist im Fall eines aktiven Angriffs irrelevant, da die erste Anfrage über HTTP rausgeht und somit vom Angreifer manipuliert werden kann, bevor der Server überhaupt was mitbekommt und den Nutzer umleiten kann.
[janschejbal.wordpress.com, 07.05.2011]
Gut, die Lösung ist, anstelle auf die vom Staat publizierte Seite www.zensus2011.de zu gehen, auf https://www.zensus2011.de. Doch das wissen ja nun die meisten technik-unaffinen Menschen nicht. Dass das nicht kommuniziert wird, finde ich eine Schweinerei. Gut, für mich dennoch eine Möglichkeit. Doch es gibt eine bessere:
Die Post. Ja, ich weiß, Briefe können verloren gehen, oder gar geöffnet. Ich bin mir dessen bewusst, doch es gibt einen guten Grund, dies zu tun. Der AK Zensus hatte eine schon 1987 benutzte Form des Protests genannt (nicht EMPFOHLEN!, nur fürs Protokoll, falls hier ein böser Staatsdiener mitliest *wink*), die sich nur postalisch durchsetzen lässt: Der Aufsatz. Natürlich ist es einfach, auf dem Formular die richtigen Kreuze zu setzen - gegessen innerhalb von ein paar Minuten. Ein bissel erschweren kann man es, wenn man ein bissel krakelt, vielleicht so, dass es durch maschinen nicht mehr lesbar ist. Doch natürlich gibt man die gleichen Antworten auch, wenn man sie als Satz formuliert. Die Legalität dieser Aussage ist nicht ganz klar, da nach der letzten Volkszählung das Bundesstatistikgesetz (BStatG) geändert wurde. In §11 Abs. 1 steht nun:
Sind Erhebungsvordrucke durch den zu Befragenden auszufüllen, so sind die Antworten auf den Erhebungsvordrucken in der vorgegebenen Form zu erteilen.
Die vorgegebene Form ist nun einmal das Formular. Nun ja, aber ein bissel riskieren muss man aber, wenn man für seine Ziele kämpft. Nun gut, ich habe nun meine Zeit verschwendet, und einen Text geschrieben. Was hat das für einen Sinn? Sand im Getriebe. Natürlich bringt es im kleinen Maßstab gesehen rein gar nix. Aber angenommen jeder würde einen Aufsatz schreiben, kann man sich vorstellen, wie lange die Auswertung dauern würde. Die Fakten müssten in dem Text gesucht werden und dann nachträglich maschinenlesbar angekreuzt. Erschweren kann man das noch, indem man die Antworten nicht in der Reihenfolge des Formulars niederschreibt. So muss im Text hin- und hergesprungen werden. Auf der Seite vom AK Zensus gibt es einen von sechs Leuten programmierten "Aufsatz-Generator", der sehr inspirierend wirkt. Kann ich sehr empfehlen, habe gut gelacht. Über ihn werden keine Daten versendet, kann also jeder mal machen. Wer sicher gehen will, stöpselt sich in der Zeit mal eben vom Internet ab.
Das war also meine Art des Protests. Ich habe gewählt. Für den Fall, adss es soweit kommen sollte. Natürlich wollte ich es der Tante nicht allzu leicht machen. Wenn sie klingeln würde, wäre ich eben einfach mal nicht da. Muss sie wieder kommen. Alles würde sich verzögern. Ah. Plan gefasst, einkaufen gehen. Es war Dienstag mittag. Ein Tag nach dem Eintreffen der Anmeldung, 8 Tage vor dem Termin. Ich lief gerade die Treppen hinunter - geradewegs in die Arme der Tante. Verdammt. Gleich die Frage, ob ich derundder wäre, zeigte mir kurz ihren Ausweis. Nun ja, ich hätte jetzt eine Show abziehen können, wegrennen oder so. Hab ich aber nicht. Bevor ich antwortete verlangte ich nach dem Personalausweis, denn nur in Verbindung mit diesem ist der Zensus-Fragebogenverteiler-Ausweis auch gültig. Und diesen Befragern bin ich beschränkt auskunftsverpflichtet. Name, Alter, Adresse. Muss ich rausrücken. Den Perso darf sie aber nicht verlangen. Hat sich aber auch nicht. Hätte sie auch nicht bekommen. Ob denn der Termin in Ordnung gehen würde? *grml* Nix mit verstecken. Ja, bestätigt ich. Doch etwas war komisch. Warum war sie eigentlich im Treppenhaus? Ich hakte nach. Sie bestätigte, dass die Stichproben ganze Hausnummern betrifft. Nicht nur einzelne Leute. Also bekommen alle Parteien, des Neben-, Vorder- und Hinterhauses meiner Hausnummer einen Fragebogen. Das sind über den Daumen gepeilt 20-30 Parteien. Wenn man nun davon ausgeht, dass nur 3% aller Menschen in Berlin befragt werden und allein in einer Stichprobe 25 Haushalte existieren, erkennt man, dass es vermutlich extrem wenig Hausnummern überhaupt betrifft. Scheiße, Pech gehabt. So, was hätte ich tun sollen? Sie kommt eh wieder, also einfach Termin zusagen und nicht dasein hätte nicht viel gebracht. Sie hatte ja noch mehr Parteien hier. Was mir gerade so einfällt, hätte ich nen Termin irgendwann vereinbaren können, damit sie noch einmal herkommt. Gut, naja. Hätte ich. Aber man muss mal überlegen: Sie ist so schon dreimal unterwegs, die Ankündigungen per Hand verteilen, Termine abklären (erscheint mir irgendwie unsinnig) und der Termin selbst.
So, was habe ich getan. Klar, ich hab mir den Fragebogen einfach so in die Hand drücken lassen. Das Gesicht der Dame entgleiste schon, meinte aber, dass ich das ja dann schnell ausfüllen könne und sie würde ihn sich dann nachher abholen. Denkste, Puppe! Von wegen, du bekommst meine Daten nicht. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass sie nicht einmal die anderen Möglichkeiten nannte. Ich sagte ihr, dass ich das lieber postalisch machen werde, da entglitt ihr Gesicht noch mehr. Tja, kein Geld mit meinen Daten. Die war auch plötzlich nicht mehr freundlich. Ich zog ab. Sie auch.
Einschub:
Auf dem Fragebogen, der per Post verschickt wurde, steht im durch das Fenster im Umschlag sichtbare Adressfeld ein weiterer DataMatrix-Barcode, der als Freimachung dient. In dieser Freimachung kann eine Art Referenznummer/Kommentar untergebracht werden – bekannt wurde das, weil einige Banken es für eine gute Idee hielten, dort (also von außen lesbar!) die Kontonummer unterzubringen. Nachdem ich den DataMatrix-Code zugeschickt bekommen und mit bcTester dekodiert hatte, schickte ich den Inhalt des Barcodes an die Person, der der Fragebogen gehörte – und diese bestätigte mir, dass darin die Fragebogennumer kodiert ist.
Die Fragebogennummer kann somit von außen eingesehen werden, ohne den Umschlag zu öffnen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob das ein Problem darstellt, und darauf weiß ich keine Antwort. Falls jedoch die Anonymisierung der Daten über die Fragebogennummer durchgeführt wird, könnte es ein Problem sein – wenn die Daten anonymisiert werden, indem sie getrennt vom Namen unter der Fragebogennummer abgelegt werden, wäre die Zuordnung Fragebogennummer-Adresse nicht ganz unproblematisch. Solange die aber nur auf dem Umschlag steht, wäre das jetzt nicht so das Problem. Es ist aber möglich, dass die Informationen, die im Barcode stehen, auch noch bei der Post landen und dort ggf. zusammen mit der Adresse gespeichert werden. (Ob das der Fall ist, weiß ich nicht!)
[janschejbal.wordpress.com, 19.05.2011]
War bei mir nicht der Fall. Vielmehr strahlte mich auf dem Umschlag das das freundliche Wort "ANTWORT" an. Klar war für mich, dass ich den Brief eh unfrankiert einwerfen würde. Nachher zahle ich noch für den Mist, so weit kommts noch. Erst eine Millionenteuere PR-Kampagne starten und dann kein Geld für das Porto seiner Bürger ausgeben. Aber das kleine Wörtchen bedeutet folgendes:
Das Gesetz selbst drückt sich verschwurbelt aus.
Die Antwort ist, soweit in einer Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist, für den Empfänger kosten- und portofrei zu erteilen.
Empfänger im Sinne des Gesetzes ist nicht, wie man annehmen könnte, der Befragte. Sondern die Behörde. Das bedeutet: Grundsätzlich muss also der Befragte = Bürger das Porto zahlen. Bei der Dicke der Antwortbögen und der Größe der Umschläge müsste also jeder Teilnehmer am Zensus mindestens 1,45 Euro in Porto investieren.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht für die Befragten viel erfreulicher aus. Die Behörden haben die vorgedruckten Antwortbögen nämlich postalisch korrekt als “ANTWORT” gestaltet.
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Dies bedeutet nach den Bedingungen der Deutschen Post, dass diese verpflichtet ist, auch unfrankierte Antworten an ihre Kunden, hier die Statistikämter, auszuliefern. Diese wiederum müssen die unfrankierten Sendungen annehmen und anstelle des Absenders das normale Porto an die Post zahlen.
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Den Statistikämtern ist auch bewusst, dass sie gegen unfrankierte Sendungen nichts machen können. “Die Lücke ist bekannt, wird aber natürlich nicht kommuniziert”, sagte mir heute der Mitarbeiter einer Behörde, der namentlich nicht genannt werden will.
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Den Ämtern sei es schon wegen des immensen Verwaltungsaufwandes nicht möglich, portoscheuen Bürgern Rechnungen zu schicken. Bereits die Kosten für die erste Mahnung wären weitaus höher als der Preis einer Briefmarke, die man vom Bürger vielleicht zurückverlangen könnte.
[lawblog.de, 13.05.2011]
Hihihi. Super. Gut, doch was, wenn die ollen Ämter nun kommen, und behaupten, ich hätte nicht geantwortet. Nun, in erster Linie werden die mich wohl einfach ein zweites Mal auffordern. Auf der anderen Seite könnte ich ein Einschreiben senden. Doch darauf habe ich nun noch viel weniger Lust als schon das eigentliche Porto zu zahlen. Ich werde nachher vor den Augen von TS meinen vorhin fertig gestellten 3-Seiten-Aufsatz eintüten und mit ihm als Zeugen unfrankiert in den Briefkasten werfen. Mein Aufsatz ist übrigens selbst geschrieben, wurde aber, wie schon angesprochen von dem Generator inspiriert. Viel Spaß beim Lesen, lieber Auswerter.
Ich halte euch bezüglich weiterer Entwicklungen auf dem Laufenden. Wenn Interesse besteht, kann ich gern den Aufsatz in anonymer Form veröffentlichen :)
Update (29.05.2011):
Oh, und nicht vergessen, dem Aufsatz die Fragebogennummer zu verpassen. Sonst müsst ihr das zweimal machen *düdelü, unschuldig pfeif*