Wir hatten ein Ziel. Wir brauchten noch unsere Musicaltickets. Der deutsche Tickethandel hatte uns ledigliche eine Art Kaufbestätigung zugeschickt, die wir in London noch in einem Partnershop gegen den echten Wisch eintauschen mussten. Doch dieser Laden hatte nur noch drei Stunden auf. Also richteten wir unsere Schritte Richtung Westminster. Ursprünglich gedachten wir einen schönen ausgiebigen Spaziergang am Ufer der Themse zu unternehmen. Doch schon kurz hinter der Millenium Bridge gab es eine Baustelle, die uns zwang, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. So liefen wir querfeldein, hangelten uns von einer Umgebungskarte zur nächsten, und wenn mal keine vorhanden war nutzte ich auch mal die Offline-Karte auf meinem Handy. Ich liebe ja so völlig ungeplante Touren. Zwar gab es eine ungefähre Richtung, aber ob das nun Tourimeile war oder nicht, scherte uns nicht im Geringsten. So kamen wir an einer besonders witzigen Stelle raus, an der es irgendwie ein kleines Anwesen mitten in der City gab. Drei kleine Häuschen wie man sie sich irgendwo in einer unbedeutenden, weit abgelegenen, kleinen englischen Grafschaft vorstellt. Doch anstelle eines grünen Hintergrunds erhob sich ein gerade neu gebautes Ungetüm von Bankgebäude. Und doch passte es in das sich uns gezeigte Stadtbild. Wieder war es die Mischung, die so kontrastreich war, dass es nahezu einen gewissen Charme entwickelte. Ob das die Bewohner der kleinen Villa mit englischem Rasen genauso sahen, sei einmal dahin gestellt. Gleich an der nächsten Ecke entdeckten wir eine Werbetafel, die ein großes Portrait von Johnny Depp alias "The Mad Hatter" zeigte. Gegenüber stand das passende Hotel dazu.
Uns trieb es also vorbei an der Waterloo Station, der City Hall, dem London Eye, direkt auf die Westminster Bridge. Ehrlich gesagt hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass dies genau jene Brücke ist, von der vermutlich jeder Touri der Welt (außer uns) das Parlamentsgebäude fotografiert. Aber so völlig unvorbereitet vor dem Londoner Wahrzeichen zu stehen, hatte etwas ziemlich spannendes. Mir war nie bewusst, welch filigrane Bauweise dort zu finden war. Ich meine, jeder kennt den BigBen von Bildern, aber ihn live zu sehen, all die feinen Details, das war noch einmal etwas ganz anderes. Nun ging es vorbei an Westminster Abbey die Victoria Street runter. So langsam wurden die Beine müde, was auch nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass man seit dem Aufstehen 1000km entfernt genau einen Apfel, einen Burger und eine Cola zu sich genommen hatte. Nun ja, auch hier fand sich jedenfalls jenes Mischmasch, was mich so fasziniert. Doch langsam kam man an einen Punkt der Sättigung. Irgendwie erwartete man nun hinter jeder noch so schmalen Ecke ein hübsches Haus und aufnehmen konnte man die vielen Eindrücke eigentlich kaum noch. Wurde Zeit für eine Pause. Als wir also endlich unsere Karten in der Hand hatten, zogen wir noch eine kleine Runde um die Häuser auf der vergeblichen Suche nach einem einfachen Café und setzten uns schließlich, bewaffnet mit Brownie und leckerem EarlGrey in die Bahnhofshalle der Victoria Station.
Es war bereits dunkel, als wir sie wieder verließen. Und die Stadt schien eine andere geworden zu sein. Noch beeindruckender. Nicht mehr grau und ehrfürchtig. Nein, überall blinkte es. Die Straßen und Gebäude wirkten verspielt, selten jedoch so, dass es kitschig oder gar aufdringlich wirkte. Beschäftiges Treiben herrschte, wo man auch hinsah, die Leute lachten und hatten Spaß. Man konnte förmlich sehen, wie die Straßen sich füllten. Der Anteil an Touristen sank, die Einheimischen gewannen die Oberhand, jene, die wussten, wo man sich in dieser schier endlosen Anzahl von Gassen und Straßen amüsierte. Das Wicket-Musicaltheater erstrahlte in sattem Grün und gegenüber bemühte sich das BillyElliot-Theater erfolgreich, alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wir aber lenkten unsere Schritte nun unserem nächsten Ziel, dem Amüsierviertel um den Picadilly Circle herum, entgegen. Dort sollte unser Haupttagespunkt im "Her Majesty Theatre" stattfinden. Dazu liefen wir die Buckingham Palace Road hinunter, vorbei an deren Namensgeber und am Victoria Memorial vor der Palasteinfahrt, welches geradezu darum bettelte, beklettert zu werden. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern möge, bis die Palastwache einen da runter holt und entschied mich gegen einen Versuch. Im Übrigen hatte ich nicht das Vergnügen einen von den Fellmützen-Kunden vors Schienbein treten zu dürfen - es gab nämlich gar keine. Voll der Beschiss. Stattdessen liefen wir vorbei an lauter wichtig aussehenden Gebäuden und überdimensionierten Statuen direkt hinein ins Getümmel des Amüsierviertels.
War die Farbenpracht am Victoria schon beeindruckend, stellte sie hier alles je Gesehene in den Schatten. Allein in dem Viertel könnte man die Abende eines Jahres verbringen ohne jemals etwas gleiches unternommen zu haben. Ob das Treiben am Trafalgar Square oder in Chinatown, alles wirkte fröhlich und irgendwie berauschend. Benommen von dem Schauspiel der tausenden lachenden Gesichter ließen wir uns treiben vorbei an den skurrilsten Theatern und Kneipen. Links, rechts, geradeaus. Uns war es egal. Wir hatten noch 2 Stunden bis zum Beginn der Vorstellung. Doch dann blieben wir beide wie auf ein Kommando stehen und betraten ein Geschäft.
So etwas witziges hatte ich schon sehr lange nicht mehr gesehen. Dieser Laden bestand quasi nur aus Kuscheltieren und liebevollster Dekoration. Begrüßt von den Augen gefühlter tausend Plüschfröschen und einem gigantischen Lemuren wendete sich der Blick gen sich öffnendem Krokodilsmaul. Die Tiere, die die Decken und Wände zierten, bewegten sich, die Luft war erfüllt von Urwaldgeräuschen. Und einen neuen Freund hatte ich auch gefunden. Leider ein wenig zu teuer um ihn wirklich mitzunehmen *snief*. Nach drei Runden durch den Laden sind wir - tatsächlich ohne etwas gekauft zu haben (bin stolz auf mich, und leicht traurig) - ging es dann straight Richtung "Her Majesty Theatre".
[to be continued]